Arbeiten 2013

Collagen

"Europa - Mythos und Vision"

Goldener Weg nach Europa, Friedenstaube und – Boatpeople. Wie passt das zusammen?

Aufmerksam betrachtet die Künstlerin Gabriele Sehn ihre Umgebung, beobachtet Verhaltensweisen, gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen. Durch intensives Beobachten setzen sich ihre Bilder im Kopf neu zusammen. Architektonischer Raum, der zu vieldeutigen Interpretationen einlädt, verknüpft sie mit Situationen, Landschaften oder symbolträchtigen Elementen. Besonderes Augenmerk schenkt sie dem Umgang des Menschen mit seinem Lebensraum, seinen Mitmenschen, der Natur, den Tieren.

Europa ist Lebensraum, für viele auch ein Lebenstraum. Der Mythos des paradiesischen Europa stärkt die Vision des unbeschwerten Lebens. Unzählige Menschen aus Afrika, aus Asien oder anderswo, fliehen auf großen Schiffen, verlassen ihre Heimat, steuern Europa an, den vermeintlichen Ort des Friedens, des Reichtums, der hoffnungsvollen Zukunft. Sie stoßen auf die „Festung Europa“, Grenzen, die schwer zu durchbrechen sind. Nicht selten bezahlen die Fliehenden mit dem Tod, oder, endlich angekommen, fristen sie ihr Leben in miserablen Lagern, ohne dem erhofften Paradies wirklich nahe zu sein.

Gabriele Sehn fügt den beiden Komponenten Mythos und Vision also eine wichtige hinzu: die Realität.

Widersprüche tun sich auf. Spiegeln die Elemente in Sehns Bildern die Widersprüche des Umgangs der Menschen mit ihrer Mitwelt oder der Politik wider? Kann es einen goldenen Weg nach Europa geben, wenn die Festung Europa kaum zu durchbrechen ist?

Die Künstlerin und Architektin ließ sich inspirieren vom europäischen Parlamentsgebäude, das mit seinem eindrücklichen, jedoch unfertig scheinenden Rundbau stark an die Renaissance-Gemälde vom „Turmbau zu Babel“ von Pieter Brueghel oder Marten van Valckenborch erinnert.  

Die Stadt und der Turm von Babel wurden als Teil seines Reichs von Nimrod, einem Urenkel Noahs, gegründet. Nimrod war „der erste, der Macht auf Erden gewann“, wie es in der Bibel steht. Große Bauprojekte sollten die Einheit seines Reichs fördern, so der riesige Turm, der Nimrod ermöglichte, die umliegende Region militärisch, wirtschaftlich und politisch zu dominieren. Die Fertigstellung des Turms scheiterte durch die von Gott herbeigeführte babylonische Sprachverwirrung.

Deutlich sind Parallelen im heutigen Europa zu erkennen. Macht und Ruhm motiviert die „Konstruktion“ eines vereinten Europas, das Frieden bringen soll. Bleibt die Frage, ob es Frieden geben kann, wenn man nicht alle daran teilhaben lässt.

Die Friedenstaube jedenfalls ergreift die Flucht ...

 

 

Katja Vobiller (Kunsthistorikerin)

Dezember 2013